Schwäbische Zeitung /// 08. Mai 2010
Berlin lässt niemanden kalt
Gleich 69 mal die gleichen Fragen, und doch kein bisschen langweilig. Denn so unterschiedlich die Befragten sind, so unterschiedlich sind auch die Antworten. Der Fotograf Wilhelm W. Reinke hat über zehn Jahre hinweg 69 Prominente porträtiert. Von den Schauspielern Katharina Thalbach und Judy Winter über Götz George bis hin zu Loriot, alias Vicco von Bülow oder Johanna König, die Älteren als Klementine aus der Waschmittelwerbung in Erinnerung ist. Sie alle hat er gefragt, was sie mit Berlin verbindet und welches Kunstwerk sie für das Beeindruckendste halten.
SIMONE HAEFELE
NEUE PRESSE Hannover /// 08. Oktober 2009
Neues von dem Mann, der Seelen fotografiert
Er ist in der Stadt gut bekannt: Als perfekter Loriot-Imitator hat er die Hannoveraner zum Brüllen gebracht, als Lehrer für Hochbegabte hat er ihre Kinder unterrichtet, und als Foto-Künstler hat er ihnen Denkanstöße gegeben: Wilhelm Reinke, einer der besten Portrait-Fotografen weltweit, hat einen neuen Bildband vorgelegt: „Berliner Augenblicke“. Darin werden die Konterfeis von 69 prominenten Zeitgenossen veröffentlicht: Das fängt bei B wie Dagmar Berghoff an und endet mit W wie Judy Winter. Dazu gibt’s Interviews mit diesen Zeitgenossen, in denen sie zu ihren ganz persönlichen Ansichten über Berlin und die Kunst in der Hauptstadt befragt werden. Das ist anspruchsvoll, aber darunter tut Reinke es nie: Seine weithin bekannten Portraits von Heinz Rühmann, Yehudi Menuhin, Peter Ustinov und Armin Mueller-Stahl waren nie einfach nur „Bilder“ – sie waren immer auch eine Hingabe an die Person, die Reinke ins Bild setzt. „Wollt ihr das totale Bild?“ Keiner aus der Branche würde bei dieser Frage schneller nicken als der Mann, der ein klares Credo hat: „Niemals nebenbei!“ Wilhelm Reinke liebt die Details und den Aufwand. Welche Pose warum? Besser keine – Reinke will sie alle haben, und er will sie alle natürlich haben. Als der Autor dieser Zeilen den Fotografen einst beauftragte, sein Buch über den ehemaligen Vorstandsvorsitzenden der WestLB, Ludwig Poullain, zu bebildern, mietete der eigens dafür eine Suite in einem der besten Berliner Hotels an und führte vor dem Shooting ein langes Vorgespräch. Aufwand, der sich lohnte: Poullain sagte hinterher: „Reinke hat meine Seele fotografiert!“ Das ist Jahre her. Inzwischen hat sich Wilhelm Reinke entwickelt: Großartige Bilder!
KARL-RICHARD WUERGER
Radiofeature NDR /// November 2009
Eines der schönsten Fotos des Theaterzauberers George Tabori zeigt den über 80-Jährigen, der sein fleckiges Gesicht auf den ebenso fleckigen Fäusten ruhen lässt. Der Schnurrbart als Brücke zwischen den Händen. Eine Studie über Melancholie. Aber auch ein Portrait des alten Mannes als spitzbübisch neugieriger Jüngling. Ist da nicht noch jemand? Natürlich, der Schalk im Nacken von Tabori. Das Foto stammt von Wilhelm W. Reinke. Es gibt Kollegen des Braunschweiger Fotografen, die ihre Aufnahmen gern aus der Hüfte schießen und die davon ausgehen, dass alles Spontane durch allzu intensive Vorbereitungen verloren gehen könne. Diese Befürchtungen hat Reinke nicht. Er nimmt sich alle Zeit der Welt. Und wenn man ihm zuhört, dann meint man, er rede über Vorgänge im Beichtstuhl oder gar in einem Liebesnest. Wie war doch gleich die Frage? Wie sich denn der Fotograf vorbereite auf seine Portraits? Reinke: „Man muss den Menschen, den man portraitieren will, kennenlernen, denn es ist eine ganz private Situation, jemanden zu fotografieren. Ich habe auch nie eine dritte Person dabei.“ Eine Geschichte zu Zweit. Wie gesagt Beichtstuhl oder Liebesnest? Reinke: „ Portraitfotografie ist Psychologie. Ich möchte fast soweit gehen, man muss seine Objekte in Anführungsstrichen „Lieben“.“ Der Psychologe gibt sich nicht zufrieden mit der Fassade. Er sucht den Blick in das Innere. Reinke: „Das Wichtigste an meinen Portraits sind immer zwei Dinge: Einmal die Augen und die Hände. Und man schaut nicht auf die Augen, sondern in die Augen. Und insofern denke ich mal schon, dass meine Portraits auch etwas von dem Inneren des Menschen zeigen.“ Und das tun sie. Mit Vicco von Bülow hat der Fotograf allerlei erlebt während der Arbeit an Licht und Schatten. Loriot trägt ja eine Lesebrille. Reinke: „So Herr von Bülow und jetzt einmal bitte abnehmen.“ „Und dann sagte er nur: Wieviel? Und so ging das eigentlich die ganze Zeit (lacht). Er hat am Anfang meine Mappe durchgeblättert und meinte nur: Ach ja, sie fotografieren immer mit Händen. Ich sage ja, sie haben ja auch immer sehr viel mit ihren Händen gearbeitet, also gezeichnet und um das dann noch etwas abzurunden, sagte ich, natürlich auch mit ihrem Geist. Er nur: Soweit noch vorhanden. Und so gingen diese Wortspiele immer hin und her. Es war eine Sternstunde meines fotografischen Schaffens.“ Und wir dachten, wenn Wilhelm W. Reinke ein Portrait vorbereitet, dann würde das ohne einen Dritten geschehen. Hört man seine Geschichten von Loriot, scheint doch ein Dritter dabei zu sein. Da ist er wieder: Der Schalk! Zwei Fotos zeigen den Portraitierten und seinen Portraitisten. Der Fall ist klar, es ist ein Schalk, den wir mal im Nacken von Loriot, mal am Hals seines Fotografen vermuten können.
JUERGEN WERTH